Tagungstrailer 2018

Nach dem öffentlichkeitswirksamen und in der Nachkriegszeit zu den bedeutenden Paradigmenwechseln in der deutschen Geschichtswissenschaft zählenden Historikertag 1998 um die Verstrickung der Lehrer der führenden deutschen Sozialhistoriker der Nachkriegszeit in die “Umvolkung“ und Rassenpolitik legten führende Wissenschaftshistorikerinnen und -historiker ihre neuesten Forschungserkenntnisse über die sogenannten völkischen Wissenschaften vor. Untersucht wurden langfristig wirksame Netzwerke der völkischen Wissenschaft. Die Kontinuität eines wissenschaftsimmanenten Antisemitismus und rassistischen Nationalismus von 1810-1960, wurde durch eine deutliche Verbreiterung der Fachgebiete dargelegt.

Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts und verstärkt im Deutschen Kaiserreich war der völkische Nationalismus in der Rechten verankert und gewann während der Weimarer Republik sichtlich an politischer Relevanz. Die Tagung beschreibt und analysiert das Aufkommen rechtspopulistischer Wissenschaftsfelder seit der Jahrhundertwende bis hin zur Radikalisierung, Nazifizierung und Mobilisierung von Wissenschaftlern für die Kriegs-, Umsiedlungs- und Vernichtungsabsichten in den Jahren bis 1944/45. Völkische Forschungsparadigmen wirkten auch danach in der Bundesrepublik weiter und können bis in die Gegenwart verfolgt werden.

 

Die Tagung dient der Durchdringung dieses komplexen Feldes indem die Auswirkungen völkischer Stereotypen, wissenschaftlicher Paradigmen, Persönlichkeiten und Institutionen im 19. und 20. Jahrhundert empirisch dicht ausgeführt werden. Um 1800 entsteht jener Korpus von ethnopolitischen Paradigmen und Stereotypen, die mit Johann Gottfried Herder und Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann in den 1780er-Jahren über die imaginierte deutsche Ethnizität begonnen hatten. Sie liefern schließlich in der politischen Romantik mit den „Germanomanen“ – wie der Zeitgenosse Saul Ascher kritisch Fichte und dessen Weggefährten bezeichnete – die Grundlage für nationalistische (Wieder-)Geburtsphantasien. Gäbe es eine Tradition der Kritik völkischer Stereotypen der sogenannten Germanomanen, dann wäre sie um 1810 entstanden. Saul Aschers Bücher wurden auf dem Wartburgfest 1817 verbrannt.

In der 1. Sektion wird der Frage von biographischen und diskursiven Mustern nachgegangen werden, welche Bedingungen für die Bildung dieser Stereotype bestanden und welche politische Relevanz sie erzielten. Die Sektion beleuchtet nicht nur einzelne Akteure der Völkischen im frühen 19. Jahrhundert wie Herder, Fichte, Fries und Hundt-Radowsky, sondern auch im Kaiserreich. Die Kontinuität und Diskontinuität völkischer Stereotype werden anhand von neueren biographischen Forschungen, etwa zu Langbehn und Chamberlain exemplarisch dargelegt.

Die 2. Sektion geht der Frage nach, welche Forschungskonzepte und Muster die völkischen Stereotype dominierten. Die Referenten haben sich einschlägig mit rassenbiologischen, demographischen und kulturhistorischen Arbeiten befasst. „Volk“ und „demographischer Untergang“ stellen eine – wenn auch fragwürdige – völkische Antwort auf (vermeintliche) Bedrohungsszenarien in Europa dar. Es werden weitere zeittypische Beispiele diverser patriotischer und nationalistischer Konzepte präsentiert, die von der völkischen Bewegung vereinnahmt und stilisiert worden sind.

Die 3. Sektion widmet sich explizit neuen Institutionen seit der Weimarer Zeit, in denen sich wichtige Akteursnetzwerke der Völkischen gebildet haben.

Die 4. Sektion geht den völkischen Ausgrenzungen u.a. im Statistischen Reichsamt und ihren Folgewirkungen hier des Kulturgutraubs nach, mit denen sich die Betroffenen und ihre Nachkommen teilweise bis in die Gegenwart auseinander zu setzen haben.

Die 5. Sektion betrachtet die Potenziale der Verdrängung und deren Wiederbelebung. Unbekannt ist die Wirkung des Kameradschaftsbunds in der Nachkriegszeit in Vertriebenen- und anderen Organisationen. Weitere Gesichtspunkte sind dem Umgang mit Differenz in der zeithistorischen Forschung sowie der Wiederbelebung des Konstruktes „Volk“ gewidmet. Sie bilden den Abschluss der Tagung.